Vom Push zum Peak 006: Mark Etinger beschließt in der Pause, bei dem miesen Wetter draußen, auf den Gang zur Pizzeria zu verzichten und einfach einen Kaffee in der Firmenküche zu trinken. Da schaut Volker Schieber vorbei und zeigt ihm ein Video, das gerade viral geht.
Mark Etinger steht in der kleinen Kaffeeküche der Firma Niegel & Nagelneu, und wartet darauf, dass das Wasser im Kocher zu sprudeln beginnt. In der Hand hält er eine Tüte mit Pulverkaffee. Es ist Donnerstagmittag, und der Schneematsch vor dem Haus hat ihn überzeugt, heute während der Pause im Büro zu bleiben und auf den üblichen Weg zur Pizzeria „Cosi fan tute“ zu verzichten. Im Hintergrund spielt im Radio die Need to breath-Version von “Go tell it on the mountain” und gibt der Büroküche einen Hauch von Weihnachten, der von der Lichterkette rund um das Fenster noch verstärkt wird.
Gut, dass ich dich hier treffe
Volker Schieber, der Vertriebschef der Firma betritt die Küche. In seinen Händen hält er seine Brotdose und eine Schachtel mit Brühwürfeln. „Na Mark, gut dass ich dich hier treffe. Ich wollte dir unbedingt was zeigen“. Mark dreht sich zu ihm um: „Hallo Schieber, das Wasser kocht gleich, willst Du auch einen Latte Macciato?“ und er hält ihm eine kleine silberne Tüte entgegen.
Der Angesprochene verzieht verächtlich den Mundwinkel. „Nee lass mal, Latte ist mir Latte. Dit hier is was Richtiges.“ Und er holt einen Brühwürfel aus der Schachtel und hält ihn dem Kollegen unter die Nase. „Wat Kräftiges, weeste.“ Mark leert die Tüte Kaffeepulver in seine Tasse, rührt in seinem Kaffeebecher und versucht die Pulverklumpen zu zerdrücken, während Volker Schieber den Brühwürfel auflöst. Mark beobachtet ihn. „Also was gibt´s? Bist du immer noch sauer wegen dem Meeting neulich?“ Schieber schaut erstaunt auf. „Welches Meeting?“ Mark antwortet zögerlich: „Na, weil ich doch gesagt habe, dass ich zu wenig Informationen aus dem Vertrieb bekomme, und gar nicht weiß, was mit den Leads passiert, die ich zu euch rüberschicke.“
Wir müssen reden
Schieber antwortet mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ach dit, nee des hab ich doch schon lange vergessen.“ Mark hebt fragend die Hände. „Aber die Sache war ernst gemein“, sagt er. „Wir müssen wirklich mal darüber reden, wie wir die Infos zwischen Marketing und Vertrieb besser austauschen können.“ Schieber nickt zustimmend mit dem Kopf. „Ja, das sollten wir mal machen, aber ick hab Arbeit bis hier!“ und hält sich die ausgestreckte Hand an die Nasenwurzel. „Weißt du, wieviel Arbeit mir der Chef aufgebrummt hat? Das Team soll bis Januar 1.200 alte Kontakte anrufen, und dabei sind wir nur vier Mann. Basti ist in Urlaub, Sonja ist im Mutterschutz, und gestern hat sich auch noch Heinz krankgemeldet. Wenn dat so weitergeht, dann fehl´ ick bald wegen Burnaut, da kannste Gift drauf nehmen.“ Sein Rühren in der Tasse wird energischer.
Glaubst du, dass der CEO sich lächerlich machen wird?
„Also, was wolltest du mir zeigen?“ fragt Mark, um ihn von seinen finsteren Gedanken abzulenken. Derweil sucht die Moderatorin Sandra im Radio nach den schönsten Storys zum Weihnachtsfest. „Ach ja, dit hier meine ich“, sagt Schieber und fingert sein Handy aus der Hosentasche. „Guck dir mal det Video an, können wir nicht mal sowas machen? Die Werbung hier geht viral gerade voll ab! Guck mal, schon 1,4 Millionen Klicks, seit dem 30. November, das heißt in 14 Tagen. “ Schieber hält Mark sein Handy unter die Nase und zeigt ihm „den ehrlichsten Weihnachtsspot der Welt“.
Mark guckt sich interessiert das Weihnachts-Video von dem Technikkaufhaus an. „Ja, ist wirklich gut“, sagt er dann. „Aber ich glaube, das geht hier nicht. Wir sind doch ein deutsches, bodenständiges Maschinenbauunternehmen. Glaubst du, dass der CEO sich selber lächerlich machen wird und so eine Story ins Netz stellt?“ „Wer weiß?“, antwortet Schieber und zuckt mit den Achseln. „Ick steck in ihm ja nich´ drin. Aber die Geschichte mit der Weihnachtsfeier ist ja auch ein Risiko. Weißt du, wat ik mir täglich von den Kunden anhören muss? Ständig muss ick ihnen erklären, warum dit alles, und weshalb wir eine Einladung neuerdings für wertvoller halten, als ein Stück Bauernschinken. Ick kann dir sagen…“. Er zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf.
Die Weihnachtsstory lässt sich einfach gut erzählen
„Na ja, was diesen Spot so steil gehen lässt, ist der neue Trend, dass man Werbung als Geschichte erzählt“, erklärt Mark. „Psychologen haben festgestellt, dass die Leute sich Geschichten viel besser merken können, als praktische Informationen, weil unser Gehirn so gebaut ist, dass wir uns Bilder besser merken können als Fakten. Und Storys machen eben genau das, sie erzeugen beim Zuhörer Bilder im Kopf. Geschichten übertragen sich über Generationen, während Bücher einfach irgendwann wieder out sind“. „Gib mal ein Beispiel, sagt Schieber, ich kann mir das noch nicht so richtig vorstellen“. „Genau, wenn du sagst, du kannst es dir noch nicht richtig vorstellen, dann fehlt dir halt das Bild.“ Mark grinst seinen Kollegen an, der ihn etwas verwirrt anschaut.
„Aber deine Frage lässt sich ganz einfach beantworten. Denk mal an Weihnachten. Damals, als die Geschichte mit dem Jesuskind und dem Stall passiert ist, da hat niemand ein Handy dabeigehabt und Fotos geknipst. Aber die Story von den Eltern, die von dem Kaiser aufgerufen wurden, sich zählen zu lassen, die sich dann hochschwanger auf den schweren Weg machten. Die dann eigentlich schon aufgeben wollten, aber dann doch noch jemanden gefunden haben, der ihnen einen Stall gab. Die lässt sich einfach gut erzählen. Zumal sie am Ende ja auch noch verfolgt wurden und fliehen mussten“. Schieber kratzt sich nachdenklich am Kopf, während der Marketingmanager einen kräftigen Schluck aus seiner Kaffeetasse nimmt.
Die Engel trugen als Influencer die Geschichte in die Welt
„Weißt du“, sagt Mark und wischt sich mit der Zunge den Schaum von den Lippen. „Die Story ist noch aus einer anderen Perspektive total modern. Denn nach der Geburt vom Christkind geht die Geschichte ja viral weiter. Die Engel trugen als Influencer die Geschichte in die Welt, riefen die Hirten an, und am Ende kamen sogar die Könige aus dem Morgenland. Das ist doch eine perfekte Story, die da bis heute jedes Jahr zu Weihnachten erzählt wird. Mit Thoughtleadership , Infoprodukt und allem drum und dran.“ Zufrieden kratzt Mark mit dem Löffel den letzten Schaum aus der Tasse, dann guckt er auf die Uhr. „Mensch Schieber ich muss los, hab um eins einen wichtigen Termin. Aber deine Idee mit dem Storytelling, die finde ich richtig nice. Lass uns da Anfang des nächsten Jahres noch mal drüber reden!“ Und blitzschnell ist er aus der Küche verschwunden. Volker Schieber stellt nachdenklich die beiden Tassen in die Spülmaschine und sagt zu sich selbst: „Mal sehen, welche Story ich den Kunden jetzt erzähle, von wegen Weihnachts ‑Feier und so.“ Dann geht er zurück an seinen Arbeitsplatz, wo das Telefon schon wieder klingelt.
Was meinen Sie, wäre dies eine günstige Lösung für Volker Schieber?
Vom Push zum Peak 006
Bildquelle: Conrad/youtube.com