Vom Push zum Peak 014: Montagmorgen, das Montagsmeeting. Die Teamchefs der Firma Niegel & Nagelneu sitzen erwartungsvoll im Meetingraum. Da stellt der Chef Carl-Ernst Oberhaupt die überraschende Frage: „Wieviel ist eine Million?“ Nach einer kurzen Weile wird die Sitzung lebhaft. Selten waren die Sitzungsteilnehmer so engagiert.
Montagmorgen, das Montagsmeeting. Die Teamchefs der Firma Niegel & Nagelneu sitzen erwartungsvoll im Meetingraum. Der Chef, Dr. Carl Ernst Oberhaupt, war drei Wochen krank gewesen. Heute soll er endlich wiederkommen. Es hatte sich bereits Unruhe in der Belegschaft breitgemacht, weil es überhaupt keine Informationen über seinen Gesundheitszustand gab. Selbst Lena konnte nichts sagen, dabei ist doch sonst seine Assistentin immer bestens informiert. Die Sitzungsrunde ist vollzählig, nur der Firmenchef des Maschinenbau-Unternehmens ist noch nicht erschienen.
Pleite oder abgehauen?
„Hallo, guten Morgen!“, Dr. Oberhaupt betritt auf die Minute pünktlich den Meetingraum mit einem Lächeln auf den Lippen. Er sieht etwas blass, aber entspannt aus. Alle freuen sich, ihn wieder zu sehen, denn sein Fortbleiben hatte schon diffuse Gerüchte bei der Belegschaft in den Umlauf gebracht. Von: „Der ist pleite und abgehauen“ bis zu, „der liegt schwerkrank im Krankenhaus“, waren eine Menge Theorien zu hören gewesen, die bei den Zigarettenpausen auf dem Hof oder während der Mittagszeit diskutiert wurden.
Die Abteilungsleiter der Firma sind dementsprechend erleichtert, ihn so frisch und munter wiederzusehen. Lena steht auf und stellt ihm einen kleinen Strauß mit Frühlingsblumen auf den Tisch. „Ich freue mich, Sie frisch und gesund wiederzusehen“, sagt sie und gibt dem Chef die Hand. „Ich freue mich auch, Sie alle hier zu sehen“, beginnt Dr. Oberhaupt seine Rede. Langsam lässt er seinen Blick durch die Runde wandern. Von Volker Schieber, dem Vertriebschef zu Ingo Fakt seinem Produktionsleiter. Neben ihm sitzt Doris Dauer, die Herrin über die Finanzen, sowie der junge Mark Etinger, der das Marketing leitet. Lena schließt die Runde ab. Die Assistentin, führt wie immer das Protokoll und gibt ihm mit der Hand ein Zeichen, dass sie bereit ist, seine Worte zu notieren.
Ich habe die Auszeit benötigt, um einen Entschluss zu fassen
„Vielleicht muss ich mich entschuldigen“, beginnt Dr. Oberhaupt. „Ja, ich war wirklich krank und ich habe mich zu Hause ins Bett verkrochen. Doch es war keine körperliche Krankheit. Ich habe die Auszeit benötigt, um einen Entschluss zu fassen.“ Die Mitarbeiter der Firma Niegel & Nagelneu sehen sich fragend an. Der Chef lässt eine rhetorische Pause entstehen, bis er endlich fortfährt. „Ich habe mich ernsthaft gefragt, ob es sich lohnt, sich weiter für diese Firma zu engagieren. Haben Sie sich schon einmal gefragt, weshalb Sie jeden Morgen aufstehen, um hierher zu kommen? Was es Ihnen gibt, hier Ihre kostbare Lebenszeit zu verbringen, und was Sie dafür zurückbekommen?“
Wir alle haben einen Traum
Die Mitarbeiter sind irritiert und verhalten sich mucksmäuschenstill. „Ich will es Ihnen verraten“, sagt Dr. Oberhaupt. „Wir alle haben einen Traum, der in unserem Verborgenen schlummert. Oftmals kennen wir ihn nicht, weil wir im Tagesgeschäft viel zu sehr eingebunden sind. Aber jeder von uns ist auf seine ganz eigene Weise genial. Jeder einzelne von uns hat individuelle Fähigkeiten und Stärken, die nur in ihm alleine in dieser Kombination vorkommen. Ich habe erkannt, dass genau hier der Ort ist, an dem ich meine Fähigkeiten ausleben kann. Ich brauche keine ferne Insel in der Karibik, oder ein Appartement in Dubai. Ich gehöre hier nach Deutschland, in diesen grauen, nebligen Winter in dieser Stadt, in der mir die Sprachweise vertraut ist, zu diesen Kollegen und Mitarbeitern, die ich seit Jahren kenne, zu dieser Firma, in der mein Herzblut steckt, weil ich schon so viele Tage und Wochen hier verbracht habe.“
Ja, Ich will mehr Marketing Praxis Tipps!
Stellen Sie sich einmal vor…
Lena weiß nicht so recht, ob sie diese Rede tatsächlich mitschreiben soll und sieht Etinger fragend an. Der zuckt mit den Achseln und weiß auch keine rechte Antwort. Oberhaupt hat die beiden aus den Augenwinkeln beobachtet und wendet sich ihnen direkt zu. „Sie sind beide noch jung, das stimmt“ nickt er ihnen zu. „Wahrscheinlich können Sie das, was ich sagen will, gar nicht richtig verstehen. Aber ich versuche es auf eine andere Art und Weise. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären heute noch einmal den ersten Tag hier. Denken Sie daran zurück, was Sie sich gewünscht haben, als Sie den ersten Tag hierherkamen. Was haben Sie von diesem Unternehmen erwartet? Was wollten Sie tun?“
Oberhaupt lässt seinen Kollegen einen Augenblick Zeit, über diese Frage nachzudenken. Er gießt sich einen Tee ein und beobachtet, wie der Dampf langsam aus der Tasse aufsteigt. Nach einer Weile guckt er erneut in die Runde und fährt fort. „Ich will jetzt keine Antwort von Ihnen hören, sondern möchte Sie bitten, dass Sie diese Gedanken, die Sie eben hatten, als Ausgangspunkt für die Aufgabe nutzen, die ich Ihnen stellen möchte.
„Wieviel ist eine Million?“ fragt er unvermutet in die Runde. Wieder gucken die Kollegen fragend in die Runde. Es ist nicht ganz klar, ob der Chef wirklich etwas sagen will, oder was die Frage soll. „Naja, eine Eins mit sechs Nullen“, beendet Schieber, der Vertriebschef schließlich das Schweigen. Oberhaupt sieht ihn mit einem Augenzwinkern an. „Naja, so kann man das sehen“, sagt er, „Ich habe noch eine andere Beschreibung. Eine Million ist beispielsweise einmal eine Million, oder aber zehnmal Hunderttausend.“ Er steht auf und geht an das Whiteboard. Dort notiert er die folgende Zahlenreihe
1.000.000 € =
1.000.000 x 1 €
100.000 x 10 €
10.000 x 100 €
1.000 x 1.000 €
100 x 10.000 €
10 x 100.000 €
1 x 1.000.000 €
Wieder sind die Mitarbeiter unschlüssig, was der Chef Ihnen damit sagen will. Doch Lena notiert sich diese Reihe in ihrem Protokoll. „Sie fragen sich jetzt sicher, was das soll?“ sagt Oberhaupt. „Nun, ich möchte Ihren Fokus verändern. Wenn wir an eine Million denken, dann immer nur als einzige riesige Zahl. Ich möchte jedoch jeden von Ihnen auffordern, sich zu überlegen, wie man auch auf andere Weise an das Problem herangehen kann. Was haben Sie für Ideen? Wie kann unser Unternehmen in diesem Jahr eine Million Euro mehr verdienen? Was wäre Ihr Ansatz, neue Kunden, neue Aufträge oder neue Märkte zu erobern?
Vielleicht kann man was mit E‑Mail-Kampagnen machen?
Es herrscht einen Augenblick lang Schweigen in der Runde. Dann sagt Volker Schieber langsam: „Naja, wenn ik mir dat so ankieke, dann würd´ ik ma sagn Hundert neue Aufträge à zehn Mille €. Oder anders gesacht, zwo Aufträge mehr die Woche. Dat müsste irgendwie machbar sein.“ Herr Oberhaupt geht an die Tafel und setzt ein Häkchen hinter die entsprechende Zahlenreihe. „Haben Sie schon eine Idee, wie man das anstellen könnte?“, fragt er den Vertriebschef. „Naja, ik hab mir schon ma überlegt, ob man nicht was mit automatisierten E‑Mail-Kampagnen machen könnte. Dat hab ik schon mal gehört, dass man seinen Vertrieb viel besser organisieren kann. Weil die Leute nur noch mit den Kunden arbeiten müssen, die wirklich interessiert sind.“
„Das ist eine wirklich gute Idee“, stimmt Oberhaupt ihm zu.
Ich würde mich mit dem Geschäftsmodell befassen
„Herr Fakt,“ sagt Oberhaupt und wendet sich Schiebers Nachbarn zu. „Wie würden Sie eine Million mehr in Angriff nehmen? Der Angesprochene rückt auf seinem Stuhl hin und her und sagt dann. „Ich würde mich intensiver mit unserem Geschäftsmodell beschäftigen. Man liest doch überall, dass die Digitalisierung nicht nur die Produktion betrifft, sondern auch die Produkte selbst. Ich würde die Summe splitten und zum einen die Entwicklung von Produkten umstellen, und zum anderen würde ich eine Werteplattform schaffen, auf der wir unseren Kunden nicht nur die Fertigung von Blechteilen anbieten, sondern eher die Lösung ihrer Probleme.“ „Das klingt gut“, sagt Oberhaupt. „Und wie würden Sie das in Zahlen fassen?“ „Also ich denke, wenn wir unseren zehn besten Kunden ein zusätzliches Servicepaket anbieten könnten, bei gleichzeitig reduzierten Kosten in der Produktentwicklung, dann müsste die Million zu schaffen sein.“ Herr Oberhaupt steht auf und setzt einen Haken hinter die nächste Zahlenreihe.
Ich würde unser Marketingbudget umschichten
Dann wendet er sich seinem Marketingchef zu: „Herr Etinger, was für eine Idee haben Sie?“ Der Angesprochene antwortet: „Ich habe in der letzten Zeit einiges über Online-Marketing gelesen. Also das klassische Push-Marketing ist irgendwie veraltet. Ich würde unser Marketingbudget umschichten. Auf der einen Seite würde ich alle alten Push Medien, also Anzeigen, Flyer, Werbebanner, total zurückfahren und das gesparte Geld in den Aufbau einer Content- oder Inbound-Strategie stecken. Das heißt, dass die Kunden alleine zu uns kommen, weil wir die richtigen Themen auf unserer Webseite haben. Und dann würde ich uns als Experten positionieren und neue Info-Produkte entwickeln, zum Beispiel Online-Seminare oder Konstruktionspläne, die sich automatisiert verkaufen lassen. Diese dienen dazu unser Marketing zu refinanzieren. Auf diese Weise könnten wir die Million, ebenfalls durch Einsparungen in Kombination mit zusätzlichen Umsatz generieren. Also meine Zahlenreihe wäre 1000 x 1.000 € oder eventuell auch 2000 x 500 €. Das wären 40 Verkäufe pro Woche. Das könnte erreichbar sein.“ Oberhaupt nickt, und zeichnet die nächste Zahlenreihe ab.
Ich denke an ein Forum mit Mitgliedsbeiträgen
„Doris, was meinen Sie?“, fragt Oberhaupt die Chefbuchhalterin. „Sehen Sie ebenfalls Potenzial, im nächsten Jahr eine Million mehr zu erreichen?“ „Naja, wenn ich die Summe runterbreche, dann bräuchte ich eine Idee, wie man zehntausendmal, 100 € verdient, richtig?“ Das wären rund zweihundert Verkäufe pro Woche. Also ich könnte mir vorstellen, dass wir ein Forum gründen, bei dem die Mitgliedschaft 100 € im Jahr kostet. Oder falls das ein bisschen zu groß ist, könnten wir ja auch ein Forum mit 5.000 Mitgliedern gründen, die jeweils 199 € im Jahr Mitgliedsbeitrag zahlen.“ Dr. Oberhaupt nickt mit dem Kopf und steht auf, um an das Board zu gehen. „Und haben Sie auch schon eine Idee, was wir in diesem Forum veranstalten wollen?“ fragt er. „Nein, leider noch nicht. Ich bin mir nicht sicher, entweder gründen wir eine übergreifende Ideenwerkstatt, in der die Mitglieder ihre aktuellen Gedanken zum Thema moderne Industrie austauschen können. Es ist doch so, dass wir alle in Deutschland die gleichen Probleme haben. Warum schließen wir uns nicht irgendwie zusammen und lösen das Problem „Innovation im Mittelstand“ gemeinsam? Oder, wir veranstalten einen großen Internetkongress, zu dem wir bekannte Redner und Autoren einladen. Der Vorteil so einer Veranstaltung liegt ja darin, dass die Kunden die Vorträge dann anhören können, wann sie Zeit haben, oder sie können gute Vorträge mehrere male anhören. Wie auch immer- die Gedanken sind noch nicht zu Ende gedachte. Aber 5.000 Leute im Mittelstand, das müsste man doch irgendwie zusammenkriegen, meinen Sie nicht auch?“
Influencer-Marketing kann im Internet skalieren
Dr. Oberhaupt nickt zufrieden mit dem Kopf. „Also, das ist wirklich eine gute Idee“, sagt er und macht erneut einen Haken an das Board. „Nun Lena, haben Sie auch eine Idee?“ fragt er seine Assistentin, die bis zum Ende still geblieben ist. „Naja, da bleibt ja nicht mehr viel übrig,“ sagt Lena und wendet sich der Tafel zu. „Ich denke man könnte versuchen, irgendein cooles Accessoire zu fertigen, dass weniger als 10 € kostet und dann 100.000-mal verkauft werden kann.“ Die Teilnehmer aus der Runde sehen sie fassungslos an. „Wie wollen Se denn 100.000 Teile verkoofen? Und dann ooch noch an Endkunden?“, Schieber schnaubt verächtlich mit den Lippen und tippt mit dem Zeigefinger an seine Stirn. Oberhaupt sieht ihn streng an. „Bitte Herr Schieber, wir haben hier eine Brainstorming-Runde und da sind keine abfälligen Bemerkungen erlaubt.“
„Tschuldigung“, antwortet Volker Schieber reumütig, „Aber unrealistisch ist det trotzdem“. „Nein, ist es nicht“, sagt Lena. „Ich habe einen Instagram-Account mit mehr als 10.000 Followern. Wenn jeder von meinen Followern eine Nachricht nur an 10 Leute weitergäbe, kommen sie binnen Stunden auf 100.000 Follower, wenn nicht sogar auf Millionen. Es muss natürlich cool sein. Aber wir alle sollten nicht unterschätzen, wie schnell man im Internet seine Nachrichten skalieren und welche Macht Influencer-Marketing haben kann.“ „Ja und was für ein Teil soll das sein?“ fragt Etinger. „Warum sollten Endkunden millionenfach irgendein Blechteil kaufen? Das gibt doch keinen Sinn.“ „Aber Mark, erinnerst du dich noch an diese schwachsinnigen Fidget-Spinner? Billige Kugellager in eine Plastikform gepresst. Das haben sich die Leute vor drei Monaten aus den Händen gerissen. Die Firma, die sich diese Idee patentieren ließ, muss Millionen verdient haben.“ „Stimmt du hast recht“, gesteht Mark Etinger ein. „Aber was können wir jetzt machen?“ „Wie wäre ein Button als Statement „Workplace Made in Germany“, oder eine Mutter mit einem Schmuckstein als Kettenanhänger? Ich weiß noch nicht, aber wenn man darüber nachdenken will, kann man sicher etwas finden…“
Dr. Oberhaupt ist zufrieden mit dem Ergebnis der Sitzung. Er geht an das Whiteboard und setzt einen fünften Haken. „Ich danke Ihnen allen sehr“, schließt er die Sitzung. „Ich möchte Sie alle bitten, bis zur nächsten Woche ein paar erste Erkundigungen anzustellen, wie realistisch Ihre Ideen in die Praxis umzusetzen sind. Bevor wir den Daumen zu irgendeiner von diesen Ideen heben oder senken, sollten wir ein paar mehr Fakten vorliegen haben. Dann können wir immer noch entscheiden, ob wir die Idee weiterverfolgen wollen oder nicht“. Mit diesen Worten beendet er die Sitzung und verlässt den Raum. Die Kollegen bleiben zunächst überrascht zurück. Doch dann beginnt eine lebhafte Diskussion über die verschiedenen Vorschläge, die bis weit in die Mittagspause hineinreicht.